Am höchsten bewertete positive Rezension
5,0 von 5 SternenEr kann's einfach
Kundenrezension aus Deutschland 🇩🇪 am 13. Oktober 2022
In Kürze: auch Band 4 von "Achtsam Morden" ist gelungen, wo ich befüchtet hätte, dass sich die Reihe so langsam als wiederholend, überzogen oder zunehmend langweilig erweisen würde. Die schräge Verquickung von therapeutischen Weisheiten und schwarzhumoriger Kriminalsatire wird zwar immer mehr getrennt, die Komposition aus einer vielleicht etwas ausführlichen, fast schon einen eigenen historischen Roman darstellenden Mini-Dokumentation über die Bhagwan-Sekte, tagesaktuellen Vorkomnissen aus dem Leben des Anwalts, Mafioso, glücklich geschiedenen, treuherzig seine Tochter liebenden Björn Diemel und immer wieder auch aus psychotherapeutischer Sicht erstaunlich substanzvollen Lebensweisheiten gelingt erneut, auch wenn ich zwischendurch immer wieder dachte, das kann so nicht klappen! Es ist wieder ein humorvoller, flüssig lesbarer, viel bedenkenswert kluges beinhaltender Roman geworden. Auch dass die Brutalitätskomponente, die die ersten beiden Bände noch sehr prägte, deutlich zurück gegangen ist, gefällt mir. Einfach ein höchst lesenswertes Buch. Kompliment!
Etwas ausführlicher: Emily wird eingeschult! Rechtsanwalt Björn Diemel macht das nervös. Seine eigene Einschulung hat er alles andere als in guter Erinnerung. Seine Tochter soll es einmal besser haben. Darüber würde er gerne in seinem monatlichen Coaching mit Achtsamkeitstherapeut Joschka Breitner sprechen. Doch dazu kommt es nicht, denn Breitner öffnet ihm nicht nur deutlich zu spät, sondern wirkt auch reichlich derangiert beim Termin und bricht diesen schließlich ab. Bevor er sich dazu entschließt, lässt er Diemel lange warten. Hierin sieht der Klient einen Trick des Therapeuten (gängiges Vorurteil gegenüber Therapeuten, dass sie alles planen und manipulieren würden!) und beginnt daher selbst offen daliegende Zeitschriften für kleine Hinweise zu halten. Aha, mein Therapeut möchte also, dass ich mich mit Tantra beschäftige, denn er hat einen Artikel zu diesem Thema offen liegen lassen.
Diemel geht tatsächlich zu einem Tantra-Seminar bevor der Termin mit Breitner nachgeholt werden soll, macht dabei eine beachtliche Feststellung über die Vergangenheit seines Therapeuten, muss aber gleichzeitig hinnehmen, dass der nächste Termin ausfällt, weil Breitner überfallen wurde. Einen Überfall auf seinen "Fels in der Brandung" kann der achtsame Mafioso fast so wenig hinnehmen wie etwas, dass das Glück seiner Tochter gefährdet und so beginnt er zu ermitteln und taucht dabei noch tiefer in Breitners Vergangenheit ein und stößt unter anderem auf dessen Zeit in der Bhagwan-Bewegung.
Band 4 von "Achtsam Morden" hätte ich wohl lange verpennt, wenn es die Bücher von Karsten Dusse nicht mittlerweile spielend auf die Bestseller-Listen schaffen würden. So war es tatsächlich Literatur-Papst Dennis Scheck, dessen auch noch positive Rezension in seiner "Druckfrisch"-Sendung vom Oktober mir klar machte, dass "Achtsam Morden im Hier und Jetzt" tatsächlich schon längst erschienen ist.
Selten ein Buch derart blitzschnell bestellt und voller Vergnügen in zwei Tagen durchgelesen.
Im Grunde ließe sich Formel für die "Achtsam Morden"-Reihe ziemlich problemlos in der Luft zerreißen: pseudo-therapeutische Kalendersprüche gepaart mit pubertärem, schwarzen Humor und einer populistischen Portion political incorrectness, eingebettet in eine seichte Kriminalhandlung. So hätte es kommen können. So ist es meiner Meinung nach aber WIEDER NICHT gekommen. Weil Karsten Dusse es einfach beherrscht dieses Komposition so zu gestalten, dass sie nicht banal wird. Dafür sorgt sein flüssiger Schreibstil. Damit kommt man nicht auf die SWR-Bestenliste und wohl auch nicht auf eine Leseliste für Germanistik-Studierende. Aber damit hält man sein Publikum bei Laune. Auch dass es zunehmend weniger gewalttätig zugeht, finde ich ausgesprochen begrüßenswert. Die Seitenhiebe auf die grünnahen und woken gehen mir zwar manchmal auf den Nerv, aber nicht alle davon sind unverdient. Schließlich ist das ganze natürlich kein Patientenratgeber oder ähnliches und ich würde auch nicht jedem Satz, den Dusse dem erfundenen Joschka Breitner unterjubelt psychotherapeutisch unterschreiben wollen, aber es steht in allen 4 Bänden extrem viel bedenkens- und lesenswertes und das verdient Anerkennung und nach wie vor empfehle ich PatientInnen, die bei mir in der Klinik das Achtsamkeitstraining besuchen Kapitel 1 des ersten Bandes, weil es einfach wirklich eine substanzvolle und kluge Hinführung an das Thema "Achtsamkeit" ist. Und auch danach kommt in allen vier Bänden noch viel kluges aus der Lebensführungsperspektive.
Was gibt es kritisches zu sagen? Musste es wirklich so viel Bhagwan-Geschichte sein? Ist die Bhagwan-Bewegung, die meines Wissens tatsächlich zumindest gegen Ende hin immer mehr ins halbseidene, wenn nicht gar kriminelle, zumindest aber in die reine Geldmacherei abgedriftet ist, tatsächlich so viele Kapitel wert? Da kann man geteilter Meinung sein, wobei ich genau auch hier finde, dass es dem Roman auch noch einen großen Mehrwert an Substanz gibt. Es ist eben auch eine Geschichte über Idealismus und weltverbessernde Ideen, die nach und nach immer mehr verabsolutiert werden und sich dann zunehmend in ihr Gegenteil umkehren. Das wunderbar in die Geschichte eines Individuums eingewoben, das das alles durchschaut und dennoch nicht völlig schuldfrei bleibt. Das ist schon klug und vielleicht auf unseren zunehemnd in Teilen wieder ideologischer werdenden Zeitgeist die besser zugeschnittene Sozialkritik als die teilweise doch ein wenig plumpen Lästereien über das Gendern und die Elektroautos.
Das Ende hat mich nicht vollends überzeugt. Da erweist sich am Ende eine Person als derart tölpelhaft, dass er etwas, vor dem er minutenlang gesessen hat und was nicht gerade unauffällig sein kann überhaupt nicht sieht. Kann man glauben, muss man nicht. Auch dass im abschließenden Gespräch nicht wesentlich mehr Fragen gestellt werden, erscheint mir ausgesprochen fragwürdig. Aber was soll's?! Details.
Wieder höchst lesenswert. Karsten Dusse kann es einfach!
[In memoriam HFK - RiP]