Kompass für die Seele: Das Fazit neuester Studien zu Resilienz und innerer Stärke
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Eine Mischung aus DocFleck, Peter Wohlleben, Stefanie Stahl und Jean Pütz – Halbwissen neu verpackt
Rezension aus Deutschland vom 9. März 2023
Nach dem Millionenbestseller „Ernährungskompass“ hat Autor Bas Kast nun den „Kompass für die Seele“ geschrieben.Fazit:Wie schon beim Buch „Der Ernährungskompass – Das Fazit aller wissenschaftlichen Studien zum Thema Ernährung“ wird auch auf dem Cover des Buches „Kompass für die Seele“ mit dem Untertitel „Das Fazit neuester Studien zu Resilienz und innerer Stärke“ geworben. Das ist schon ein stark abgeschwächtes Versprechen, war es doch beim Ernährungskompass bei weitem nicht eingelöst worden (siehe dazu auch meine Rezension). Dafür steht aber auf dem Cover im Kleingedruckten Stempel nicht weniger, als dass „10 wissenschaftlich erwiesene Wege, um Körper und Geist gesund zu halten“ präsentiert werden. Also doch wieder das hohe Versprechen, die dargelegten Inhalte seien wissenschaftlich erwiesen. Kann es der Autor diesmal erfüllen? Das Buch ist in 10 fortlaufende Kapitel und zwei Buchteile (Körper & Sinne, S. 9ff, und Psyche, S. 76ff) unterteilt. Nach der Einführung (S. 8ff) geht es mit „Nahrung für die Seele“ (S. 14ff) und „Ernährung – Die Zutaten einer entzündungslindernden Kost“ (S. 30ff) los. Weitere Kapitel beschäftigen sich mit den Themen „Sport ist die beste Stressmedizin“ (S. 41ff), „Ein Wirkstoff namens Wald“ (S. 55ff), „Psychotherapie über Nacht“ (S. 68ff) oder meditativen, philosophischen und anderen Ansätzen zur Lebensführung sowie der Einnahme von Ecstasy oder Psilocybin (S. 111ff). Das Buch kann sich damit in eine Vielzahl von Lebenshilferatgeber einreihen, die mit gleichen oder ähnlichen Konzepten um die Ecke kommen und scheinbar bis heute noch nicht zu einem anhaltenden Zustand der weltweiten Glückseligkeit geführt haben, sonst würden nicht jährlich Hunderte neue Exemplare erscheinen. Nun hat auch Bas Kast seine Selbsterfahrung gemacht und lässt wie alle anderen Coaches, Psychologen und Gurus die Welt daran teilhaben. Das Buch fasst allerdings viele sonst nur in einem Buch vorgetragene Möglichkeiten zusammen und kann damit tatsächlich eine Art Kompass darstellen. Der Hauptunterschied besteht darin, dass der Autor laut eigener Auskunft zwei Kriterien hatte, um die einzelnen Methoden in sein Buch aufzunehmen: Selbstversuch mit Effekt und wissenschaftliche Untersuchungen. Das ist zwar lobenswert, doch viele Kapitel liefern Allerweltweisheiten mit Selbstverständnisgarantie: Sport, Bewegung an der frischen Luft, ein Waldspaziergang oder schöne Musik und ausreichend Schlaf machen den Kopf frei. Ausgerechnet beim Thema Ernährung verfällt der Autor zudem wieder in das aus dem Ernährungskompass bekannte höchst eigene Verständnis der wissenschaftlichen Arbeit. Als Hauptquelle dient mit Felice Jacka zwar eine profilierte Wissenschaftlerin, doch ausgerechnet bei einer Meta-Analyse, an der Jacka 2019 beteiligt war und die nur belastbare Studiendesigns ausgewertet hat, kommt zwar heraus, dass Ernährungsumstellungen sich positiv auf Depressionen und Angststörungen auswirken können, allerdings ist nur in 3 von 16 Studien eine mediterrane Ernährung getestet worden. Der Autor hebt allerdings nur auf mediterrane Ernährung ab, was die Studienlage überhaupt nicht hergibt (siehe dazu unten mehr) und zitiert dabei fast nur Frau Jacka. Die üblichen Geschichten über das gute Obst und Gemüse und weniger guten tierischen Lebensmittel werden dabei neu erzählt. Dabei zeigt gerade eine Korrelationsanalyse des World-Happiness-Index keinen Zusammenhang, dass Menschen glücklicher seien, wenn sie mehr Obst und Gemüse essen. Das hängt von ganz anderen Faktoren im realen Leben ab, nicht zuletzt dem Einkommen. Auch einzelne Lebensmittelinhaltsstoffe werden in ihrer Wirkung überhöht dargestellt ebenso das Thema „chronische“ Entzündungen. Es liegt auf der Hand mit einem Lebenshilferatgeber den Erfolg des Ernährungskompasses weiterzuführen, doch „wissenschaftlich erwiesen“ ist auch hier wieder zu hoch gegriffen. Das meiste beruht leider auf Eigenerfahrung, Anekdoten von anderen Erfahrungsberichten, Tierstudien, Mini-Studien mit Menschen oder Allerweltswissen und Küchenpsychologie aus dem Lebensfreude-Kalender vom PAL-Verlag. Letzterer liefert immerhin täglich einen Input…Diese Stellen im Buch (Apple Books, iPad) sind mir besonders aufgefallen:S. 8ff: Das Buch beginnt wie schon der Ernährungskompass mit einer persönlichen Leidensgeschichte/Anekdote: Der Autor ist nach dem großen Erfolg des Ernährungskompass in ein tiefes Loch gefallen. Die Frage war, ob er nicht an einer „handfesten Depression“ litt. Doch statt diese Frage mit einem Therapeuten zu besprechen (siehe Interview mit Spiegel online), durchforstet der Autor mal wieder Studien über Studien, um sich selbst zu heilen. Die klassische Heldengeschichte, wie schon beim Ernährungskompass, wo er beim Joggen einen Herzanfall hatte, mit dem er auch nicht zum Internisten ging.S. 12: Hier schon mal der 1. Disclaimer: von den „wissenschaftlich erwiesenen“ Strategien soll sich jeder rauspicken, was für ihn passt. Also alles genauso vage, wie beim Ernährungskompass, wo das Motto lautete: „Ich mache es mal so oder auch so, manchmal aber auch so“.S. 14: Hier beginnt das Thema „Nahrung für die Seele“. Was macht der Autor nach bewährtem Muster? Er präsentiert eine Wissenschaftlerin, Felice Jacka, die „die Expertin für den Zusammenhang zwischen Psyche und Ernährung schlechthin“ sein soll. Mit Bezug auf die Doktorarbeit von Jacka aus dem Jahr 2010 wird schon das Framing für die späteren Ernährungsempfehlungen des Autors gebastelt, denn sie fand heraus, dass „kleine Mengen unverarbeitetes rotes Fleisch, ein geringeres Risiko für Angsterkrankungen und Depression“ bewirkten. Diese Aussagen widersprechen einer Studie von Jacka 2012, die der Autor nicht zitiert, nach der sowohl mehr als auch weniger Rotfleischverzehr als die empfohlene Menge von 28–57 g/Tag zu Stimmungsschwankungen und Angststörungen führte. Die Ergebnisschwankungen der 95KI-Intervalle, ein statistisches Streuungsmaß, sind wiederum so hoch, dass in der Realität wohl kaum ein merklicher Effekt aufträte. Weder in die eine noch die andere Richtung.S. 15ff: Ab hier wird mit ein paar anatomischen Bildchen die Hirnregion Hippocampus als das zentrale Dreh- und Angelelement für die Entstehung von Depressionen und Angstzuständen hochstilisiert, weil ohne Hippocampus neue Erinnerungen vor allem von uns selbst nur sehr eingeschränkt hängen bleiben. Jedoch bilden sich täglich individuell stark unterschiedlich hunderte neue Nervenverbindungen, die auch ältere Erinnerungen überspielen könnten. Daraus bilden sich Geschichten, die unser Gehirn aus Erinnerungsfragmenten zusammenstellt und die sowohl gute wie auch schlechte Gefühle erzeugen können, wenn wir uns daran erinnern. Nun kommt der Autor mit der Behauptung, dass „wer Junkfood isst, dessen Hippocampus ebenfalls messbar kleiner ist, im Vergleich zu jenen, die sich gesund ernähren“. Diese sollen dann ähnlich depressiven Patienten einen geschrumpften Hippocampus haben. In der dazu gehörigen Quelle von Frau Jacka „Western diet is associated with a smaller hippocampus: a longitudinal investigation“ liest sich das ganze dann etwas abgeschwächter. Die Ernährung wurde bei 255 Studienteilnehmern zwischen 60-64 Jahren einmal mit einem Fragebogen erfasst und es ergab sich tatsächlich ein kleineres Volumen, aber nur der linken Hippocampushälfte. Interessant wäre es dann auch zu erwähnen gewesen, dass im Vergleich zur durchschnittlichen Ernährung weder die „poor diet“ noch die „good diet“ signifikant unterschiedlich waren. Und dann steht da noch: „While hippocampal volume declined over time, there was no evidence that dietary patterns influenced this decline“. Mit anderen Worten: Der Hippocampus wird mit der Lebenszeit ohnehin kleiner, für einen Zusammenhang zur Ernährung gibt es keine Evidenz. Abgesehen davon sind dies nur statistische Assoziationen, keine Kausalitäten. Der Autor fabuliert aber in gewohnter Weise, dass „wir uns unseren Hippocampus auf geradezu verhängnisvolle Weise wegfuttern könnten“. Starke Behauptung auf Basis einer Studie mit 255 Teilnehmern und 1 Ernährungserfassung.S. 18ff: Den Hippocampus zu stärken, soll demnach die Stressresilienz stärken usw. und dann kommt der Autor mit „mediterranem Essen als Antidepressivum“ um die Ecke. Dass dies empirisch eine These ist, die sich kaum belegen lässt, wird nicht erwähnt. Denn die „mediterrane Ernährung“ gibt es nicht. Von den über 20 Anrainerstaaten des Mittelmeers unterscheidet sich die Ernährung jeweils mehr oder weniger stark. Nähme man die Italiener, so leiden dort laut EUROSTAT nur 5,3% der Bevölkerung an chronischen Depressionen (EU-Durchschnitt 7,2%), in Frankreich hingegen 7,7%. In Deutschland sollen es 11,6% sein und in Polen wieder nur 4,2%. Auf Malta, wo die mediterrane Ernährung mitunter zu den höchsten Übergewichtsraten führt, liegt der Anteil der von Depressionen betroffenen Bevölkerung sogar nur bei 3,5%. Im wenig mediterranen Rumänien sogar nur bei 1%.S. 21f: Ein weiteres Beispiel wie der Autor einzelne Studien heranzieht und mit pseudowissenschaftlicher Übergenauigkeit Story- statt Faktentelling betreibt: In Mosconi et al. 2014 wurden 52 Patienten mittels Hirn-Scans untersucht, ob eine mehr oder weniger der mediterranen Ernährung entsprechende Ernährung sich auf bestimmte Hirnregionen auswirkt, die mit der Alzheimer-Erkrankung im Zusammenhang stehen. Der Autor schreibt bei einer Testperson, die sich nicht besonders mediterran ernährte, dass „wo früher einmal Gehirnmasse war, ist nun Wasser“ und zeigt dazu Hirn-Scans. Das klingt dramatisch und ist irreführend: Erstens verfolgt die Studie nicht das eigentliche Thema des Kapitels (Depression, Angststörungen), sondern Alzheimer, und die Autoren schlussfolgern deutlich sachlicher: „These data indicate that the MeDi may have a protective effect against tissue loss, and suggest that dietary interventions may play a role in the prevention of AD“ – das sind sehr viele Konjunktive. Abgesehen davon: ein Blick in den Weltalzheimer-Report 2015 (S. 19) zeigt, dass die Häufigkeit von Alzheimer in Deutschland so hoch ist wie in Spanien und Italien, dafür ist sie in Schweden, UK, Finnland und den Niederlanden aber deutlich geringer. In Frankreich ist sie doppelt so hoch. Hier mediterrane Ernährung als Heilsbringer hochzustilisieren ist unseriös und empirisch nicht begründbar.S. 22: Hier wird dem Leser abermals wissenschaftliche Evidenz vorgaukelt. Eine weitere Studie von Jacka 2017 wird angeführt, in der eine mediterrane Ernährung mit einer sozialen Intervention verglichen wurde. Die Ernährungsintervention hatte einen größeren Effekt, wobei 55 von 67 Studienteilnehmern auch noch in therapeutischer Begleitung war. Die Autoren sprechen auch nur von „These results indicate that dietary improvement may provide an efficacious and accessible treatment strategy…“. Anders der Autor, der mit einer weiteren Studie (Bayes et al., 2022) diese Ergebnisse bestätigt sehen will, wobei es sich lediglich um 72 männliche Teilnehmer handelte, und beide Studien lassen nicht darauf schließen, dass solche Effekte ausschließlich mit mediterraner Ernährung erzeugt werden, sondern ggf. mit jeder anderen bewussten Ernährungsumstellung.S. 23: Und zu guter Letzt zum Kapitel Ernährung: neuseeländische Forscher wollen herausgefunden haben, dass wer am Vortag zwei Extraportionen Obst & Gemüse gegessen hat, sich am nächsten Tag lebendiger, engagierter und motivierter fühlte. Der Autor fabuliert wieder davon, dass „eine gesunde Ernährung (die mediterrane Ernährung?) dem Gehirn wie auch der Psyche nicht bloß im Falle einer Depression guttut, sondern unsere Gemütsverfassung allgemein beflügelt“. Wer hätte das gedacht? Doch wozu dienen all die pseudowissenschaftlichen Ausführungen auf den Vorseiten, die zumeist nur eine Wissenschaftlerin zitieren und keinen einzigen Review von zum Beispiel der renommierten Cochrane-Stiftung, die seriös auswertet, ob Therapien oder auch Diäten, wie auch Nahrungsergänzungsmittel wirklich wirksam sind? Die Antwort: Weil dann das Storytelling nicht mehr funktioniert, wie auf dieser Seite wieder Omega-3-Fettsäuren angepriesen werden, u.a. aus Kapseln, wonach dann der Hippocampus von älteren Menschen wieder wachsen soll, die Merkfähigkeit steigen soll und Depressionen gelindert werden sollen. Cochrane-Österreich (einfach mal nach „medizin transparent, omega 3, depression“ googlen) schreibt dazu: „Die bisher durchgeführten Studien sind kaum vertrauenswürdig. Ihre zusammengefassten Ergebnisse deuten nicht darauf hin, dass Omega-3-Fettsäuren aus Fischöl eine Depression merkbar lindern könnte. In Studien, die Fischöl mit Medikamenten gegen Depression verglichen, schienen die Omega-3-Fettsäuren schlechter zu wirken als die Medikamente“.S. 32ff: Es geht wieder los, diesmal „antientzündliche Ernährung“: Chronische Entzündungen im Körper machen uns depressiv. Dagegen helfen sollen wieder mal: Omega-3-Fettsäuren und dann auch noch Safran und Kurkumin. Unser unnatürlicher Lebensstil rufe „chronische Entzündungsprozesse“ hervor und die könnten auf das Gehirn übergreifen und „Neuroinflammation“ bewirken. Weil Entzündungsmarker mit Depressionszuständen korrelieren können, "könnte man ein Stimmungstief oder eine Depression auch als eine Form von „entzündetem Gehirn“ beschreiben…“. Dagegen nehme man täglich 50 Gramm Olivenöl, frisches Obst und Gemüse aber auch Vollkornprodukte oder Kräuter und Gewürze. Leider greift der Autor hier in die gleiche Trickkiste, wie Doc Fleck, Bracht und wer sich sonst noch der Geschichte von den chronischen oder stillen Entzündungen bedient. Diese sollen so tückisch sein, weil man sie ja nicht bemerkt, aber sie sind sicher da! Fakt ist: wir haben immer irgendwo ein wenig Entzündung, das ist normal. Steigen kann dies auch durch Übergewicht bedingt. Dann hilft es, Körpergewicht abzubauen, aber keine Pseudotipps aus der Mottenkiste. Für Menschen, die tatsächlich unter entzündlichen Autoimmunerkrankungen leiden, sind diese Tipps ohnehin allenfalls Begleitprogramm, für alle anderen sind sie unnötig.S. 34ff: Hier wird ein „Entzündungsranking“ von Lebensmitteln geliefert, mit dem Zweck zu erfahren, welche Lebensmittel Entzündungen entgegenwirken können und der Logik des Autors nach dann auch bei Depressionen und Stimmungsschwankungen helfen. Doch diese Logik ist ohnehin nicht durch eine Kausalität begründet: wer krank ist, ist oftmals auch nicht auf Wolke 7, doch was war zuerst da: Die Erkrankung oder das Stimmungstief? Wer nicht unter einer diagnostizierten entzündlichen Erkrankung leidet, für den ist diese Liste von geringem Nutzen, da eine Depression oder ein Stimmungstief vermutlich auf eine andere Ursache zurückzuführen sind. Leider steigt der Autor dann wie schon im Ernährungskompass aus unerfindlichen Gründen auf Empfehlungen ein, wie „ein bis maximal zwei Gläschen [Alkohol] scheinen entzündungshemmend zu sein“ ein oder dass Tomaten entzündungshemmend seien, wie auch Hülsenfrüchte, und gesättigte Fettsäuren (und somit tierische Lebensmittel) entzündungsfördernd. Magnesium als Mineral sei auch entzündungshemmend – da fehlt dann nur noch das Schüssler-Salz in der Empfehlungsliste. Auch hier gilt generell: Eine ausgewogene und abwechslungsreiche Ernährung ohne zu viel des einen oder des anderen ist überhaupt kein Problem. Alkohol hingegen schon, obgleich an vielen anderen Stellen im Buch auch immer wieder vor Alkohol und seinen Risiken gewarnt wird.S. 39f: Hier erklärt der Autor in seiner ihm eigenen vagen Schreibweise, dass nun doch nicht jeder Mensch in dem Maße von Entzündungen betroffen ist, dass sich Ernährung tatsächlich merklich entzündungsdämpfend auswirkt und somit nach seiner Logik gegen Stimmungstiefs und Depressionen. Aber dann heißt es wieder bei unserem heutigen Lebensstil sei es „nicht ganz unwahrscheinlich, dass man von einer, wenn auch vielleicht nur leichten Form von chronischer Inflammation betroffen ist“. Also ist doch wieder jeder irgendwie mehr oder weniger betroffen, vielleicht aber auch nicht. Hauptsache Omega-3, Kurkumin und Safran, das hilft immer. Tatsächlich empfiehlt er dann doch, dass man den Entzündungs-Blutmarker hsCRP messen könnte, im Internet. Das ersetzt aber keinen Arzt, so die Warnung! Allein die Empfehlung von einem Selbsttest zeugt bereits von wenig Verantwortungsbewusstsein. Hätte der Autor so sauber recherchiert, wie er es gerne darstellt, dann hätte er für ein deutsches Leserpublikum die Daten des Robert-Koch-Instituts gesichtet und gesehen, dass der Grenzwert von 5 mg hsCRP/100ml Blut nur von 11,5% der Bevölkerung leicht überschritten wird, bei 3,5% deutlich. Eine Überschreitung heißt auch nicht automatisch, dass schlimme „chronische Entzündungen“ vorliegen, das Gehirn entzündet ist oder Depressionen und Stimmungsschwankungen auftreten…S. 41ff: „Bewegung ist die beste Stressmedizin“ – dieses Kapitel zeigt viele Erkenntnisse der Sportpsychologie auf, die tatsächlich wirksam sind. Ob wiederum viele der dargestellten Abläufe auf biochemischer Ebene der Muskulatur-Hirn-Achse genau zu diesen im realen Leben messbaren Effekten führen (S. 44: Cathepsin B, Osteocalcin BDNF usw.) ist dagegen eher noch Gegenstand der Forschung.S. 46f: Naturvölker werden beim Thema Bewegung gerne als Referenz hergenommen, um uns das Ausmaß des eigenen Bewegungsmangels zu demonstrieren. Das greift jedoch zu kurz. Ich empfehle eher das Buch „Burn“ (siehe Rezension dazu) von Hermann Pontzer, um den Zusammenhang zwischen Stoffwechsel und körperlicher Aktivität besser zu verstehen. Dass dieser als Quelle hier nicht einmal zitiert wird, ist allerdings bezeichnend für die Rechercheleistung.S. 50f: Fasten gegen Stimmungsschwankungen – im Sinne spiritueller oder meditativer (persönlicher, religiöser, kultureller) Rituale durchaus möglich.S. 52f: Kalt Duschen gegen Stimmungsschwankungen – liegt im Trend, macht den Geist wach. Es fehlt aber der Hinweis, dass Menschen mit möglichen Herzgefäßverengungen (der Autor hat ja angeblich selbst Herzprobleme) es lieber sehr langsam und nur an den Extremitäten angehen lassen sollten. Ein Sprung in den kalten See, wie im Buch skizziert, kann sonst schnell tödlich enden, wenn sich die ohnehin schon verengten Gefäße aufgrund des Kälteschocks plötzlich stark und möglicherweise bis zum Verschluss verengen. Die Auswirkung auf die Depressionen ist natürlich nicht wissenschaftlich belegt, der Autor beruft sich mal wieder auf Anekdoten…S. 68f: In diesem Kapitel über Wald und Natur als Kraftquelle werden viele sozialpsychologische Studien zitiert, ein Fach, das noch mehr als die Ernährungswissenschaften mit den Verzerrungen des täglichen Lebens zu kämpfen hat, um valide Ergebnisse zu liefern. Die auf der letzten Seite zitierte Studie von White et al. 2019 empfiehlt zwei Stunden pro Woche in die Natur. Täte sicher jedem gut.S. 111ff: Hier beschreibt der Autor ausführlich seinen ersten MDMA-Trip (Ecstasy) unter Betreuung einer Therapeutin. Tatsächlich steht MDMA in den USA kurz vor der Zulassung in den USA – zur Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (siehe auch S. 117).S. 123ff: Ab hier ist dann sein Psilocybin-Trip das Thema, ein Psychedelikum wie z.B. LSD. Die Risiken von MDMA und Psilocybin werden dann ab S. 129 Beschrieben. Fazit: Wer mit kalten Duschen und Kurkuma aus der Depression findet, sollte auf das Zeug besser verzichten. Alkohol ist laut Autor mit Abstand die gefährlichste Droge…, aber auf S. 38 empfiehlt er ein oder zwei Gläschen als Entzündungshemmer und im Ernährungskompass für die Herzgesundheit. Beides ist leider Quatsch und die mögliche Eintrittspforte in den Alkoholismus.S. 136ff: Hier sind nochmal die 10 Wege zur Stärkung der Seele beschrieben. Von „wissenschaftlich erwiesen“ bleibt an dieser Stelle kaum etwas übrig. Das meiste beruht auf Eigenerfahrung, Anekdoten von anderen Erfahrungsberichten, Tierstudien, Mini-Studien mit Menschen oder Allerweltswissen und Küchenpsychologie aus dem Lebensfreude-Kalender vom PAL-Verlag.
Rezension aus Deutschland vom 9. März 2023
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