Kundenrezension aus Deutschland 🇩🇪 am 25. November 2022
Es war nicht alles großartig in der Harry Hole Reihe. Ganz ehrlich, ich lese die Reihe nur noch wegen dem lieb gewonnen Helden und einigen Nebenfiguren sowie der fast nicht mehr zu denkenden Erwartung, dass Jo Nesbo nochmals ein Meisterwerk wie "Rotkehlchen", "Schneemann" oder "Leopard" veröffentlicht.
Jo Nesbo schrieb in den letzten Jahren auch öfters Bücher außerhalb der Harry Hole Reihe, größtenteils waren diese besser als die Mischung aus Stilstand und immer noch konstruierter wirkendem Drama um die Person Harry Hole in den letzten vier Büchern. Hatten diese meist dennoch auch ihre Glanzseiten, so versank "Messer" dann in totalem Chaos, noch mehr persönliches Drama, noch unglaubwürdiger erscheinende Story und Charaktere. Natürlich war Jo Nesbo schon immer etwas Over the Top, aber irgendwann werden Grenzen überschritten, wenn ein Thriller fantastischer wirkt als ein Fantasy-Roman.
"Blutmond" ist der 13. Band der Reihe und immerhin ein kleines Reset, nicht ganz zurück zu einem Buch wie "Der Fledermausmann", aber doch zu der Art Thrillern im Stile von "Schneemann". Jo Nesbo konzentriert sich hier wieder auf einen spannenden Fall, auch wenn einige Wendungen diesmal sehr vorhersehbar sind. Am Ende sind es auch etwas zu viele Haupttatverdächtige gewesen, aber über die ersten 80 Prozent des Romans dominiert gekonnte Suspense. Angenehm ist jedoch das zurückgenommene Drama. Das ist zwar wieder einmal intensiv, aber doch nicht so kalt und dabei leider überzogen wie im Vorgänger mit dem Mord an Ehefrau Rakel, den sein bester Freund Björn begangen hat, weil Harry mit dessen Frau Katrin im Vollrausch geschlafen hat. Es ist immer noch eine Welt mit viel persönlichem Drama, jedoch lange nicht so dick aufgetragen. Dann gibt es auch fast jedes Mal dieses wiederkehrende Drama um diesen alkoholbedingten Blackout, der Harry Hole zurückwirft. In den letzten Bänden hat es mittlerweile genervt, diesmal wird dies dem Leser zum Glück erspart.
Es geschehen wieder bestialische Morde, Harry Hole ermittelt aus Not als Privatdetektiv für einen reichen Tatverdächtigen. Er stellt ein Team mit bekannten anderen Problemkindern der Reihe und dem Psychologen Stale Aune zusammen, jedoch tauchen auch andere altbekannte Rollen wie Katrine Bratt und Mikael Heilmann wieder auf. Die Figuren werden alle interessant dargestellt. Insgesamt wirkt vor allem die ungewöhnliche Gruppe um Harry erfrischend alternativ und trotz Schattenseiten sympathisch.
Herrlich sind auch wieder die Anspielungen auf Film, Theater und Musik. So wird "Romeo und Julia" oft erwähnt, anfangs im Zusammenhang mit einer guten platonischen Trinkfreundin von Harry Hole in L.A., die früher Julia verkörperte, später spielt eine Theateraufführungen in Oslo eine wichtige Rolle. Immer wieder kommen Leonard Cohen und Bob Dylan und Gespräch, während der Mörder mehrmals von David Bowie schwärmt. Ziemlich zu Beginn über "Life on Mars?" als besten Song aller Zeiten, doch auch im späteren Verlauf mal mehr und mal weniger offensichtlich . Die Anspielung auf "Scary Monsters (and Super Creeps)" dürfte einigen entgangen sein.
Ein Harry Hole Thriller zu bewerten fällt mir tatsächlich schwer, als Fortsetzungsroman hat es "Blutmond" etwas schwer, diese auf zu viele Zufälle aufgebaute Konstellationen zu durchbrechen, all das vergangene Drama wird ab und zu wieder angesprochen, kann anderseits ja auch nicht ignoriert werden. Die ganze Geschichte von "Blutmond" wird tatsächlich etwas glaubwürdiger, wenn man den Roman abgeschottet vom Rest der Reihe betrachtet. Als eigenständiger Thriller ist Jo Nesbo ein spannender Thriller gelungen, für die Weltklasse von früher bietet das Buch jedoch zu wenig Neues. Ziemlich brutal ist das Buch wieder geworden, nicht nur in den Schilderungen der Morde, auch psychologisch harte Themen finden Eingang in die Geschichte. Denn das Motiv des Mörders hat viel mit selbst wiederfahrenen Grausamkeiten zu tun, durch die der Mörder nur als zweitschlimmster Charakter des Buches erscheint.
"Blutmond" ist lesenswert für alle, die Jo Nesbo immer treu geblieben sind und ich kann das Buch auch denjenigen empfehlen, die ihn einst mochten, jedoch von den letzten Bücher nicht mehr überzeugt waren. Ein spannender Thriller mit dem richtigem Maß an menschlichem Drama, stilistisch ist Jo Nesbo immer den meisten Genre-Autoren überlegen gewesen. Ein persönlicher Plus-Punkt sind für mich die David Bowie Referenzen, wenn auch leider nicht im Zusammenhang mit eine Sympathiefigur.