Kundenrezension aus Deutschland 🇩🇪 am 25. Juni 2015
(Kinoversion)
Wer hätte gedacht, dass eine wahre Geschichte, die von einer Gruppe Schwuler und Lesben anno 1984 handelt, die streikenden britischen Bergarbeitern helfen zu überleben, zu einem der besten Kinofilme seit Jahren werden würde? Vielleicht hat auch Regisseur Matthew Warchus ("Simpatico") nicht damit gerechnet, dass sein erst zweiter Film (in wohlgemerkt 15 Jahren) das Zeug dazu hätte, sich zum absoluten Publikumsliebling zu mausern. Zumal Drehbuchautor Stephen Beresford mit "Pride" sein erstes Script überhaupt abliefert. "Pride" ist ein wunderbarer Film, in dem alles richtig gemacht wurde: eine fähige Regie, ein warmherziges, witziges Drehbuch, authentische Locations, ein grandioser 80er Jahre-Soundtrack und ein so liebenswerter und begabter Cast, dass man sie alle nach 120 Filmminuten sehr ins Herz geschlossen hat. "Pride" sollte wirklich niemand verpassen, denn hinter dem schlichten Titel verbirgt sich ein wunderschöner Film, den man einfach gesehen haben muss.
1984: England ist fest in der politischen Hand von Premierministerin Margaret Thatcher, die für ihre Unbeugsamkeit und emotionale Kälte bekannt ist. Als britische Bergarbeiter in den Streik gehen, um gegen Privatisierung und Schließung ihrer Minen zu protestieren, lässt die Premierministerin sich auf keinen Kompromiss ein und die Bergarbeiter so am ausgestreckten Arm buchstäblich verhungern. Davon bekommen auch einige Homosexuelle in London etwas mit, die unter Führung des jungen Mark Ashton (Ben Schnetzer, "Die Bücherdiebin") kurzerhand beschließen, für die Bergarbeiter Geld zu sammeln, damit sie überleben können. Sie gründen den Verein LGSM (Lesbians and Gays support the Miners) und fangen an, Spendengelder zu sammeln. Da die Gewerkschaft nicht daran interessiert ist, von Schwulen und Lesben unterstützt zu werden, fahren Mark und seine Gruppe kurzerhand direkt nach Wales zu den streikenden Minenarbeitern, um ihnen das Geld selbst zu übergeben. Dort gibt es zwar auch einige Vorbehalte gegen die Homosexuellen, diese legen sich jedoch schnell und die beiden von der Regierung so schlecht behandelten Randgruppen beginnen sich anzufreunden. LGSM sammelt immer mehr Geld für die darbenden Streikenden, was einigen Gewerkschaftsmitgliedern dennoch nicht gefällt. Und natürlich haben Mark und seine Freunde auch mit ihren ganz persönlichen Problemen zu kämpfen, genau wie die Bergarbeiter um den umgänglichen Dai (Paddy Considine, "The World's End").
"Pride" ist eine sehr gelungene Mischung aus typisch trockenhumoriger Brit-Komödie und gesellschaftlichem Drama. Die scheinbar so gegensätzlichen Themen wie der Kampf um Akzeptanz und Gleichberechtigung der Homosexuellen und der Kampf der Bergwerksmitarbeiter um ihre Jobs weist viele Parallelen auf. Beide Gruppen fühlten sich von der damaligen Regierung im Stich gelassen oder sogar geächtet. Die Schwulen- und Lesbenbewegung war gerade erst dabei, sich Gehör und Aufmerksamkeit zu verschaffen und um ihre Rechte zu kämpfen. Schwul sein war immer noch pervers, krankhaft und anormal. "Pride" zeigt hier auch anhand von Einzelschicksalen, wie schwer der Weg zum Coming out ist und in welche Angst die gerade erst bekannt gewordene Immunschwächekrankheit AIDS die Menschen versetzte. Parallel dazu wird das schwere Schicksal der Bergarbeiter geschildert, die verzweifelt um ihre Jobs kämpfen, ihren Stolz nicht verlieren wollen und durch den fast ein Jahr lang andauernden Streik mit ihren Familien an den Rand des Existenzminimums gedrängt wurden.
Anhand exzellent ausgearbeiteter Charaktere gelingt es "Pride", all diese Probleme nachvollzieh- und spürbar zu machen. Trotz Ecken und Kanten sind die Protagonisten Menschen, die man schnell ins Herz schließt und somit gebannt ihren weiteren Weg verfolgt. Ob das nun der 20jährige Joe (George MacKay, "Defiance") ist, der sein Coming-out noch vor sich hat oder der selbstbewusste Mark, der ein stark ausgeprägtes soziales Gewissen hat und sich für andere furchtlos einsetzt. Auch die kratzbürstige Steph (Faye Marsay, "The White Queen") als Punk-Lesbe entfaltet ihren ganz eigenen Charme, ebenso wie der exaltierte Jonathan (Dominic West, "The Awakening"), der den tanzfaulen Minenarbeitern Tanzunterricht gibt oder der zurückhaltende Mike (Joseph Gilgun, "Misfits"), der seinen eigenen Weg noch finden muss. Aber auch die walisischen Bergwerksleute schließt man schnell ins Herz, die ruppige und resolute Hefina (Imelda Staunton, "Maleficent"), den schüchternen Cliff (Bill Nighy, "Best Exotic Marigold Hotel") und den liebenswerten Dai, der zutiefst dankbar für die Unterstützung von so ungewöhnlicher Seite ist. Der Cast ist schlicht toll, die Rollen sind differenziert und liebevoll ausgearbeitet und erzählen viele verschiedene Geschichten - tragische, schöne, witzige.
Die stufenweise Annäherung der weltoffenen, engagierten Schwulen und Lesben aus der Großstadt London und der konservativen, voreingenommenen Minenarbeiter samt Familien in einem Dorf in Wales geht nicht ganz unkompliziert, aber zunehmend besser vonstatten. Schnell werden (zumindest bei den meisten) Vorurteile über Bord geworfen und sich in den gemeinsamen Kampf für die gute Sache gestürzt. Dabei kommen weder Spaß noch Ernsthaftigkeit zu kurz, egal, ob dies bei zur Disco ausartenden Minenarbeiter-Versammlung ist oder beim aufregenden London-Besuch der Bergwerksleute, bei dem es natürlich auch in die Clubs der Schwulenszene geht. Auch die Dramatik kommt nicht zu kurz: Coming-Out, AIDS, Intrigen und unerschütterlicher Zusammenhalt werden hier so dezent, gekonnt und emotional in Szene gesetzt, dass man sich dem immensen Charme, den "Pride" versprüht, einfach nicht entziehen kann.
Und nicht erst, wenn es zum herzergreifend-beschwingten Finale von "Pride" kommt, hat man sie alle ins Herz geschlossen, die Schwulen, die Lesben, die Minenarbeiter, einfach die Menschen, die "Pride" zu diesem einzigartigen, berührenden, witzigen, temporeichen, ehrlichen und großartigen Film machen. Mit einigen Abschluss-Informationen zu den tatsächlichen Schicksalen dieser einmaligen Menschen geht man, mit einer Träne im Auge und einem Lächeln im Gesicht, aus "Pride" und kann es immer noch nicht fassen, was für einen fantastischen Film man da gerade gesehen hat. "Pride" ist bestmögliche Kinounterhaltung, wie man sie so gelungen nur selten zu sehen bekommt. Definitives Plus auch hier die anzuratende Originalversion, in der wunderbares Brit-Englisch und herrlich melodisches Englisch mit walisischem Akzent gesprochen wird. Nach Sichtung des deutschen Trailers kann ich die Originalversion nur umso mehr empfehlen, es ist erschreckend, wie viel hier doch wieder in der Synchronisation verlorengeht. Wer sich "Pride" entgehen lässt, hat selber schuld, so tolle, rund um gelungene Filme gibt es nicht oft. Deshalb gerne volle fünf von fünf Kämpfen, die gekämpft werden müssen, allen Widerständen zum Trotz.